德文版 III BRÜDERLICHKEIT, WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG UN
    DRITTESKAPITEL

    BRÜDERLICHKEIT,WIRTSCHAFTLICHEENTWICKLUNGUNDZIVILGESELLSCHAFT

    34.DieLiebeinderWahrheitstelltdenMenschenvordiestaunenswerteErfahrungdesGeschenks.DieUnentgeltlichkeitistinseinemLebeninvielerleiFormengegenwärtig,dieaufgrundeinernurproduktivistischenundutilitaristischenSichtdesDaseinsjedochoftnichterkanntwerden.DerMenschistfürdasGeschenkgeschaffen,dasseinetranszendenteDimensionausdrücktundumsetzt.ManchmalistdermoderneMenschfälschlicherweisederÜberzeugung,dereinzigeUrheberseinerselbst,seinesLebensundderGesellschaftzusein.DieseÜberheblichkeitisteineFolgedesegoistischenSich-in-sich-selbst-Verschließensundrührt–inBegriffendesGlaubensgesprochen–vonderUrsündeher.DieWeisheitderKirchehatstetsvorgeschlagen,dieErbsündeauchbeiderInterpretationdersozialenGegebenheitenundbeimAufbauderGesellschaftzubeachten:»Zuübersehen,daßderMenscheineverwundete,zumBösengeneigteNaturhat,führtzuschlimmenIrrtümernimBereichderErziehung,derPolitik,desgesellschaftlichenHandelnsundderSittlichkeit«.[85]ZurAufzählungderBereiche,indenensichdieschädlichenAuswirkungenderSündezeigen,gehörtnunschonseitlangerZeitauchjenerderWirtschaft.AuchunsereZeitliefertunsdafüreinenoffensichtlichenBeleg.DieÜberzeugung,sichselbstzugenügenundinderLagezusein,dasinderGeschichtegegenwärtigeÜbelalleindurchdaseigeneHandelnüberwindenzukönnen,hatdenMenschendazuverleitet,dasGlückunddasHeilinimmanentenFormendesmateriellenWohlstandsunddessozialenEngagementszusehen.WeiterhatdieÜberzeugung,daßdieWirtschaftAutonomieerfordertundkeinemoralische„Beeinflussung“zulassendarf,denMenschendazugedrängt,dasWerkzeugderWirtschaftsogaraufzerstörerischeWeisezumißbrauchen.LangfristighabendieseÜberzeugungenzuwirtschaftlichen,gesellschaftlichenundpolitischenSystemengeführt,diedieFreiheitderPersonunddergesellschaftlichenGruppenunterdrückthabenundgenauausdiesemGrundnichtinderLagewaren,fürdieGerechtigkeitzusorgen,diesieversprochenhatten.WieichschoninmeinerEnzyklikaSpesalvigeschriebenhabe,entferntmanaufdieseWeisediechristlicheHoffnungausderGeschichte,[86]diejedocheinkraftvollesPotentialimDienstederumfassendenEntwicklungdesMenschendarstellt,dieinderFreiheitundinderGerechtigkeitgesuchtwird.DieHoffnungermutigtdieVernunftundgibtihrdieKraft,denWillenzulenken.[87]SieistbereitsimGlaubengegenwärtig,vondemsiegeradezugewecktwird.DieLiebeinderWahrheitnährtsichausihrundmachtsiezugleichsichtbar.DadieHoffnungeinvölligunentgeltlichesGeschenkGottesist,trittsiealsetwasUngeschuldetesinunserLebenherein,dasüberjedesGesetzderGerechtigkeithinausgeht.DasGeschenkübertrifftseinemWesennachdenVerdienst,seinGesetzistdasÜbermaß.EskommtunsinunsererSeelezuvoralsZeichenderGegenwartGottesinunsundseinerErwartunganuns.DieWahrheit,diewiedieLiebeeinGeschenkist,ist,solehrtderheiligeAugustinus,größeralswir.[88]AuchdieWahrheitüberunsselbst,überunsereeigeneErkenntnis,istunszuallererst„geschenkt“.DenninjedemErkenntnisvorgangwirddieWahrheitnichtvonunserzeugt,sondernimmergefunden,oderbesser,empfangen.DieWahrheitkommtwiedieLiebe»nichtausDenkenundWollen,sondernübermächtigtgleichsamdenMenschen«.[89]

    DadieLiebeinderWahrheiteineGabeist,diealleempfangen,stelltsieeineKraftdar,dieGemeinschaftstiftet,diedieMenschenaufeineWeisevereint,diekeineBarrierenundGrenzenkennt.DieGemeinschaftderMenschenkannvonunsselbstgestiftetwerden,abersiewirdalleinauseigenerKraftnieeinevollkommenbrüderlicheGemeinschaftseinundjedeAbgrenzungüberwinden,dasheißt,einewirklichuniversaleGemeinschaftwerden:dieEinheitdesMenschengeschlechts,einebrüderlicheGemeinschaftjenseitsjedwederTeilung,wirdausdemzusammenrufendenWortGottes,derdieLiebeist,geboren.BeiderBehandlungdieserentscheidendenFragemüssenwireinerseitspräzisieren,daßdieLogikdesGeschenksdieGerechtigkeitnichtausschließtoderihrineinemzweitenMomentundvonaußenhinzugefügtwird,undandererseits,daßeinewirtschaftliche,gesellschaftlicheundpolitischeEntwicklung,diewahrhaftmenschlichseinwill,demPrinzipderUnentgeltlichkeitalsAusdruckderBrüderlichkeitRaumgebenmuß.

    35.DerMarktist,wenngegenseitigesundallgemeinesVertrauenherrscht,diewirtschaftlicheInstitution,diedieBegegnungzwischendenMenschenermöglicht,welchealsWirtschaftstreibendeihreBeziehungendurcheinenVertragregelnunddiegegeneinanderaufrechenbarenGüterundDienstleistungenaustauschen,umihreBedürfnisseundWünschezubefriedigen.DerMarktunterliegtdenPrinzipiendersogenanntenausgleichendenGerechtigkeit,diedieBeziehungendesGebensundEmpfangenszwischengleichwertigenSubjektenregelt.AberdieSoziallehrederKirchehatstetsdieWichtigkeitderdistributivenGerechtigkeitunddersozialenGerechtigkeitfürdieMarktwirtschaftselbstbetont,nichtnurweildieseindasNetzeinesgrößerensozialenundpolitischenUmfeldseingebundenist,sondernauchaufgrunddesBeziehungsgeflechts,indemsieabläuft.DennwennderMarktnurdemPrinzipderGleichwertigkeitdergetauschtenGüterüberlassenwird,isternichtinderLage,fürdensozialenZusammenhaltzusorgen,denerjedochbraucht,umgutzufunktionieren.OhnesolidarischeundvongegenseitigemVertrauengeprägteHandlungsweiseninseinemInnerenkannderMarktdieihmeigenewirtschaftlicheFunktionnichtvollkommenerfüllen.HeuteistdiesesVertrauenverlorengegangen,undderVertrauensverlustisteinschwererVerlust.

    PapstPaulVI.hatinderEnzyklikaPopulorumprogressiorichtigerweisedieTatsacheunterstrichen,daßallgemeinverbreitetegerechteHandlungsweisenfürdasWirtschaftssystemselbsteinenVorteildarstellen,dadiereichenLänderdieerstenNutznießerdeswirtschaftlichenAufschwungsderarmenLändersind.[90]Dabeihandelteessichnichtnurdarum,FehlfunktionendurchHilfsleistungenzukorrigieren.DieArmendürfennichtalseine»Last«[91]angesehenwerden,sondernalseineRessource,auchunterstrengwirtschaftlichemGesichtspunkt.EsmußjedochdieSichtweisejeneralsunrichtigverworfenwerden,nachdenendieMarktwirtschaftstrukturellaufeineQuotevonArmutundUnterentwicklungangewiesensei,umbestmöglichfunktionierenzukönnen.EsistimInteressedesMarktes,Emanzipierungzufördern,aberumdieszuerreichen,darfersichnichtnuraufsichselbstverlassen,denneristnichtinderLage,vonsichausdaszuerreichen,wasseineMöglichkeitenübersteigt.ErmußvielmehraufdiemoralischenKräfteandererSubjektezurückgreifen,diediesehervorbringenkönnen.

    36.DasWirtschaftslebenkannnichtallegesellschaftlichenProblemedurchdieschlichteAusbreitungdesGeschäftsdenkensüberwinden.EssollaufdasErlangendesGemeinwohlsausgerichtetwerden,fürdasauchundvorallemdiepolitischeGemeinschaftsorgenmuß.Esdarfdahernichtvergessenwerden,daßdieTrennungzwischenderWirtschaftstätigkeit,derdieAufgabederSchaffungdesReichtumszukäme,undderPolitik,diesichmittelsUmverteilungumdieGerechtigkeitzukümmernhabe,schwereStörungenverursacht.

    DieKirchevertrittseitjeher,daßdieWirtschaftstätigkeitnichtalsantisozialangesehenwerdendarf.DerMarktistansichnichteinOrtderUnterdrückungdesArmendurchdenReichenunddarfdaherauchnichtdazuwerden.DieGesellschaftmußsichnichtvordemMarktschützen,alsobseineEntwicklungipsofactozurZerstörungwahrhaftmenschlicherBeziehungenführenwürde.Esistsicherrichtig,daßderMarkteinenegativeAusrichtunghabenkann,nichtweildiesseinemWesenentspräche,sondernweileinegewisseIdeologieihmdieseAusrichtunggebenkann.Esdarfnichtvergessenwerden,daßesdenMarktnichtineinerReinformgibt.ErerhältseineGestaltdurchdiekulturellenGegebenheiten,dieihmeinekonkretePrägungundOrientierunggeben.DieWirtschaftunddasFinanzwesenkönnen,insofernsieMittelsind,tatsächlichschlechtgebrauchtwerden,wennderVerantwortlichesichnurvonegoistischenInteressenleitenläßt.SokönnenansichguteMittelinschadenbringendeMittelverwandeltwerden.DochdieseKonsequenzenbringtdieverblendeteVernunftderMenschenhervor,nichtdieMittelselbst.DahermußsichderAppellnichtandasMittel,sondernandenMenschenrichten,anseinmoralischesGewissenundanseinepersönlicheundsozialeVerantwortung.

    DieSoziallehrederKircheistderAnsicht,daßwahrhaftmenschlicheBeziehungeninFreundschaftundGemeinschaft,SolidaritätundGegenseitigkeitauchinnerhalbderWirtschaftstätigkeitundnichtnuraußerhalboder»nach«diesergelebtwerdenkönnen.DerBereichderWirtschaftistwedermoralischneutralnochvonseinemWesenherunmenschlichundantisozial.ErgehörtzumTundesMenschenundmuß,geradeweilermenschlichist,nachmoralischenGesichtspunktenstrukturiertundinstitutionalisiertwerden.

    VorunsliegteinegroßeHerausforderung,dievondenProblemenderEntwicklungindieserZeitderGlobalisierunghervorgebrachtunddurchdieWirtschafts-undFinanzkrisenochweitererschwertwurde:WirmüsseninunseremDenkenundHandelnnichtnurzeigen,daßdietraditionellensozialethischenPrinzipienwiedieTransparenz,dieEhrlichkeitunddieVerantwortungnichtvernachlässigtodergeschwächtwerdendürfen,sondernauch,daßindengeschäftlichenBeziehungendasPrinzipderUnentgeltlichkeitunddieLogikdesGeschenksalsAusdruckderBrüderlichkeitimnormalenwirtschaftlichenLebenPlatzhabenkönnenundmüssen.DasisteinErfordernisdesMenscheninunsererjetzigenZeit,aberauchumeinErfordernisdeswirtschaftlichenDenkensselbst.EsistzugleicheinErfordernisderLiebeundderWahrheit.

    37.DieSoziallehrederKirchehatimmerbekräftigt,daßdieGerechtigkeitallePhasenderWirtschaftstätigkeitbetrifft,dadiesestetsmitdemMenschenundmitseinenBedürfnissenzutunhat.DieBeschaffungvonRessourcen,dieFinanzierung,dieProduktion,derKonsumundalleübrigenPhasenhabenunvermeidbarmoralischeFolgen.SohatjedewirtschaftlicheEntscheidungeinemoralischeKonsequenz.AlldasbestätigtsichauchindenSozialwissenschaftenundindenTendenzenderheutigenWirtschaft.Vielleichtwaresfrüherdenkbar,derWirtschaftdieSchaffungdesReichtumsanzuvertrauen,umdannderPolitikdieAufgabezuübertragen,diesenzuverteilen.Heuteerscheintdasschwieriger,dadiewirtschaftlichenTätigkeitennichtanterritorialeGrenzengebundensind,währenddieAutoritätderRegierungenweitervorwiegendörtlichbeschränktist.DarummüssendieRegelnderGerechtigkeitvonAnfanganbeachtetwerden,währendderwirtschaftlicheProzeßinGangist,undnichtmehrdanachoderparalleldazu.Darüberhinausistesnötig,daßRäumefürwirtschaftlicheTätigkeitengeschaffenwerden,dievonTrägerndurchgeführtwerden,dieihrHandelnausfreiemEntschlußnachPrinzipienausrichten,diesichvomreinenProfitstrebenunterscheiden,dieaberdennochweiterwirtschaftlicheWertehervorbringenwollen.DievielenAusdrucksformenderWirtschaft,dieauskonfessionellenundnichtkonfessionellenInitiativenhervorgegangensind,zeigen,daßdaseinekonkreteMöglichkeitist.

    InderZeitderGlobalisierungleidetdieWirtschaftankonkurrierendenModellen,dievonsehrunterschiedlichenKulturenabhängigsind.Diedaraushervorgehendenwirtschaftlich-unternehmerischenVerhaltensweisenfindenvorwiegendinderBeachtungderausgleichendenGerechtigkeiteinenBerührungspunkt.DasWirtschaftslebenbrauchtohneZweifelVerträge,umdenTauschvoneinanderentsprechendenWertenzuregeln.EbensosindjedochgerechteGesetze,vonderPolitikgeleiteteMechanismenzurUmverteilungunddarüberhinausWerke,dievomGeistdesSchenkensgeprägtsind,nötig.DieglobalisierteWirtschaftscheintdieersteLogik,jenedesvertraglichvereinbartenGütertausches,zubevorzugen,aberdirektundindirektzeigtsie,daßsieauchdieanderenbeidenFormenbraucht,dieLogikderPolitikunddieLogikdesGeschenksohneGegenleistung.

    38.MeinVorgängerPapstJohannesPaulII.hataufdieseProblematikhingewiesen,alserinderEnzyklikaCentesimusannusdieNotwendigkeiteinesSystemsmitdreiSubjektenaufgezeigte:demMarkt,demStaatundderZivilgesellschaft.[92]InderZivilgesellschaftsaherdengeeignetstenBereichfüreineWirtschaftderUnentgeltlichkeitundderBrüderlichkeit,abererwolltediesenichtfürdieanderenbeidenBereicheausschließen.Heutekönnenwirsagen,daßdasWirtschaftslebenalseinemehrdimensionaleRealitätverstandenwerdenmuß:InallenmußinunterschiedlichemUmfangundineigenenFormenderAspektderbrüderlichenGegenseitigkeitvorhandensein.InderZeitderGlobalisierungkanndieWirtschaftstätigkeitnichtaufdieUnentgeltlichkeitverzichten,diedieSolidaritätunddasVerantwortungsbewußtseinfürdieGerechtigkeitunddasGemeinwohlinseinenverschiedenenSubjektenundAkteurenverbreitetundnährt.EshandeltsichdabeischließlichumeinekonkreteundtiefgründigeFormwirtschaftlicherDemokratie.Solidaritätbedeutetvorallem,daßsichallefüralleverantwortlichfühlen,[93]unddaherkannsienichtalleindemStaatübertragenwerden.WährendmanfrüherderAnsichtseinkonnte,daßmanzuerstfürGerechtigkeitsorgenmüsseunddaßdieUnentgeltlichkeitdanachalseinZusatzhinzukäme,mußmanheutefesthalten,daßohnedieUnentgeltlichkeitauchdieGerechtigkeitnichterreichtwerdenkann.EsbedarfdahereinesMarktes,aufdemUnternehmenmitunterschiedlichenBetriebszielenfreiunduntergleichenBedingungentätigseinkönnen.NebendengewinnorientiertenPrivatunternehmenunddenverschiedenenArtenvonstaatlichenUnternehmensollenauchdienachwechselseitigenundsozialenZielenstrebendenProduktionsverbändeeinenPlatzfindenundtätigseinkönnen.AusihremZusammentreffenaufdemMarktkannmansicherhoffen,daßeszueinerArtKreuzungundVermischungderunternehmerischenVerhaltensweisenkommtunddaßinderFolgespürbaraufeineZivilisierungderWirtschaftgeachtetwird.LiebeinderWahrheitbedeutetindiesemFall,daßjenenwirtschaftlichenInitiativenGestaltundStrukturverliehenwird,diedenGewinnzwarnichtausschließen,aberüberdieLogikdesÄquivalenzprinzipsunddesGewinnsalsSelbstzweckhinausgehenwollen.

    39.PapstPaulVI.sprachsichinderEnzyklikaPopulorumprogressiofürdieSchaffungeinesMarktwirtschaftsmodellsaus,daswenigstenstendenziellalleVölkereinschließenkannundnichtnurjene,dieüberentsprechendeMöglichkeitenundFähigkeitenverfügen.Erverlangte,sichdafüreinzusetzen,daßeinefürallemenschlichereWeltentstehe,eineWelt,»woallegebenundempfangenkönnen,ohnedaßderFortschrittdereineneinHindernisfürdieEntwicklungderanderenist«.[94]DamitdehnteerdieForderungenundZielederEnzyklikaRerumnovarumaufeineuniversaleEbeneaus.AlsjeneEnzyklikaalsAntwortaufdieindustrielleRevolutionerschien,setztesichzumerstenMalderdamalssicherfortschrittlicheGedankedurch,daßderFortbestanddergesellschaftlichenOrdnungaucheinesumverteilendenEingreifensdesStaatesbedarf.HeuteerweistsichdieseSichtauchabgesehendavon,daßsiedurchdieÖffnungderMärkteunddergesellschaftlichenGruppeninKrisegeratenist,alsunvollständigundkanndieAnsprücheaneinevollundganzmenschlicheWirtschaftnichterfüllen.WasdieSoziallehrederKircheausgehendvonihrerSichtdesMenschenundderGesellschaftimmervertretenhat,istheuteauchaufgrundderDynamikenerforderlich,diedieGlobalisierungmitsichbringt.

    WenndieLogikdesMarktesunddieLogikdesStaatesmitgegenseitigemEinverständnisaufdemMonopolihrerjeweiligenEinflußbereichebeharren,gehenlangfristigdieSolidaritätindenBeziehungenzwischendenBürgern,dieAnteilnahmeunddieBeteiligungsowiedieunentgeltlicheTätigkeitverloren.Dieseunterscheidensichvom„Geben,umzuhaben“,dasdieLogikdesTauschesausmacht,undvom„GebenausPflicht“,dasfürdieöffentlichenVerhaltensweisengilt,diedurchstaatlicheGesetzeauferlegtwerden.DieÜberwindungderUnterentwicklungerforderteinEingreifennichtnurzurVerbesserungderaufGütertauschberuhendenTransaktionen,nichtnurimBereichderLeistungenderöffentlichenHilfseinrichtungen,sondernvorallemeinefortschreitendeOffenheitaufweltweiterEbenefürwirtschaftlicheTätigkeiten,diesichdurcheinenAnteilvonUnentgeltlichkeitundGemeinschaftauszeichnen.DieexklusiveKombinationMarkt-StaatzersetztdenGemeinschaftssinn.DieFormensolidarischenWirtschaftslebenshingegen,dieihrenfruchtbarstenBodenimBereichderZivilgesellschaftfinden,ohnesichaufdiesezubeschränken,schaffenSolidarität.EsgibtkeinenMarktderUnentgeltlichkeit,undeineHaltungderUnentgeltlichkeitkannnichtperGesetzverordnetwerden.DennochbrauchensowohlderMarktalsauchdiePolitikMenschen,diezurHingabeaneinanderbereitsind.

    40.DiederzeitigeninternationalenwirtschaftlichenDynamikenmitihrenschwerwiegendenVerzerrungenundMißständenerfordern,daßsichauchdasVerständnisdesUnternehmenstiefgreifendverändernmuß.AlteFormenderUnternehmertätigkeitgehenihremEndeentgegen,dochamHorizontwerdenneuevielversprechendeFormensichtbar.EinedergrößtenGefahrenistsicherdie,daßdasUnternehmenfastausschließlichgegenüberdenInvestorenverantwortlichistundsoletztendlichanBedeutungfürdieGesellschafteinbüßt.AufgrundderwachsendenGrößeunddeszunehmendenKapitalbedarfshängenimmerwenigerUnternehmenvoneinemgleichbleibendenUnternehmerab,dersichlangfristig–undnichtnurvorübergehend–fürdieTätigkeitunddieErgebnisseseinesUnternehmensverantwortlichfühlt,undimmerseltenerhängenUnternehmennurvoneinerRegionab.AußerdemkanndiesogenannteAuslagerungderProduktionstätigkeitdasVerantwortungsbewußtseindesUnternehmersgegenüberInteressensträgernwiedenArbeitnehmern,denZulieferern,denKonsumenten,derUmweltunddemgrößerengesellschaftlichenUmfeldzugunstenderAktionäreverringern,dienichtaneinenbestimmtenOrtgebundensindunddaheraußerordentlichbeweglichsind.DerinternationaleKapitalmarktbietetheutetatsächlicheinengroßenHandlungsspielraum.ZugleichwächstaberauchdasBewußtseinfürdieNotwendigkeiteinerweiterreichenden„sozialenVerantwortung“desUnternehmens.AuchwennnichtalleethischenKonzepte,dieheutedieDebatteüberdiesozialeVerantwortungdesUnternehmensbestimmen,ausderSichtderSoziallehrederKircheannehmbarsind,soistesdocheineTatsache,daßsicheineGrundüberzeugungausbreitet,nachderdieFührungdesUnternehmensnichtalleinaufdieInteressenderEigentümerachtendarf,sondernmußauchaufdievonallenanderenPersonenkategorieneingehen,diezumLebendesUnternehmensbeitragen:dieArbeitnehmer,dieKunden,dieZuliefererderverschiedenenProduktionselemente,dieentsprechendeGemeinde.IndenvergangenenJahrenwareineZunahmeeinerkosmopolitischenKlassevonManagernzubeobachten,diesichoftnurnachdenAnweisungenderHauptaktionärerichten,beidenenessichnormalerweiseumanonymeFondshandelt,diedefactodenVerdienstderManagerbestimmen.AuchheutegibtesjedochvieleManager,diesichdankweitblickenderAnalysenimmermehrdertiefgreifendenVerbindungenbewußtwerden,dieihrUnternehmenmitderRegionoderdenRegionen,indenenesarbeitet,hat.PapstPaulVI.luddazuein,ernsthaftzubedenken,welchenSchadenesdemeigenenLandzufügenkann,wennKapitalnurzumpersönlichenVorteilinsAuslandgeschafftwird.[95]PapstJohannesPaulII.merktean,daßeineInvestitionnebenderwirtschaftlichenimmeraucheinemoralischeBedeutunghat.[96]Esmußbetontwerden,daßalldasauchheutegilt,auchwennderKapitalmarktstarkliberalisiertwordenistunddiemodernetechnologischeDenkweisedazuverleitenkann,ineinerInvestitionnureinentechnischenVorgangundnichtaucheinemenschlicheundethischeHandlungzusehen.EsgibtkeinenGrundzuleugnen,daßeingewissesKapitalGutesbewirkenkann,wennesimAuslandundnichtinderHeimatinvestiertwird.EsmüssenaberdieausGerechtigkeitbestehendenAnsprüchegewährtsein,wobeiauchzubeachtenist,wiediesesKapitalentstandenistundwelchenSchadendieMenschendavontragen,wennesnichtandenOrteneingesetztwird,woesgeschaffenwurde.[97]Manmußvermeiden,daßdiefinanziellenRessourcenzurSpekulationverwendetwerdenundmanderVersuchungnachgibt,nureinenkurzfristigenGewinnzusuchenundnichtauchdenlangfristigenBestanddesUnternehmens,denNutzenderInvestitionfürdieRealwirtschaftunddieSorgefürdieangemesseneundgelegeneFörderungvonwirtschaftlichenInitiativeninEntwicklungsländern.EbensogibteskeinenGrundzuleugnen,daßeineVerlagerunginsAusland,wennsiemitInvestitionenundAusbildungverbundenist,fürdieBevölkerungdesbetreffendenLandesGutesbewirkenkann.DieArbeitunddastechnischeWissenwerdenüberallgebraucht.Esistabernichtzulässig,eineAuslagerungnurvorzunehmen,umvonbestimmtenBegünstigungenzuprofitierenodergarumandereauszubeuten,ohneeinenechtenBeitragfürdieGesellschaftvorOrtzurSchaffungeinesstabilenProduktions-undSozialwesenszuleisten,daseineunverzichtbareBedingungfüreinebeständigeEntwicklungdarstellt.

    41.IndiesemZusammenhangisteshilfreich,daraufhinzuweisen,daßdieunternehmerischeTätigkeiteinemehrwertigeBedeutunghatunddieserimmermehrgerechtwerdenmuß.DieseitlängererZeitvorherrschendeKombinationMarkt-Staathatunsdarangewöhnt,nurandenprivatenUnternehmernachkapitalistischerArtundandererseitsandieLeiterstaatlicherUnternehmenzudenken.InWirklichkeitisteindifferenziertesVerständnisderunternehmerischenTätigkeiterforderlich.DasresultiertauseinerReihevonmetaökonomischenBeweggründen.DieunternehmerischeTätigkeithatnochvorihrerberuflicheneinemenschlicheBedeutung.[98]SieistTeileinerjedenArbeit,wennsieals»actuspersonae«[99]betrachetwird;daheristesgut,jedemArbeitnehmerdieMöglichkeitzugeben,seinenpersönlichenBeitragzuleisten,sodaßerselbst»dasBewußtseinhat,imeigenenBereichzuarbeiten«.[100]NichtzufälliglehrtePapstPaulVI.daß»jeder,derarbeitet,schöpferischtätigist«.[101]GeradeumdenErfordernissenundderWürdedesarbeitendenMenschensowiedenBedürfnissenderGesellschaftgerechtzuwerden,gibtesverschiedeneArtenvonUnternehmen,weithinausüberdiealleinigeUnterscheidungzwischen»privat«und»staatlich«.JedeerfordertundverwirklichteinebesondereunternehmerischeFähigkeit.UmeineWirtschaftzuerreichen,diesichindernahenZukunftindenDienstdesnationalenundweltweitenGemeinwohlsstellenkann,istesangebracht,dieseweitreichendeBedeutungderunternehmerischenTätigkeitzubeachten.DieseumfassendereSichtfördertdenAustauschunddiegegenseitigePrägungunterdenverschiedenenArtenvonunternehmerischerTätigkeitmiteinemKompetenzflußvomnicht-gewinnorientenBereichzumgewinnorientiertenundumgekehrt,vomöffentlichenzudemderZivilgesellschaft,vondenfortgeschrittenenWirtschaftsregionenzujenenderEntwicklungsländer.

    Auchdie„politischeAutorität“hateinemehrwertigeBedeutung,dieaufdemWegzurVerwirklichungeinerneuensozialverantwortlichenundnachdemMaßdesMenschenausgerichtetenwirtschaftlich-produktivenOrdnungnichtvergessenwerdendarf.SowiemanaufderganzenWelteinedifferenzierteunternehmerischeTätigkeitpflegenwill,somußaucheineverteilteundaufverschiedenenEbenenwirkendepolitischeAutoritätgefördertwerden.DiezusammengewachseneWirtschaftunsererZeiteliminiertdieRollederStaatennicht,sieverpflichtetdieRegierungenvielmehrzueinerengerenZusammenarbeituntereinander.GründederWeisheitundderKlugheitratendavonab,vorschnelldasEndedesStaatesauszurufen.HinsichtlichderLösungderderzeitigenKrise,zeichnetsicheinWachstumseinerRolleab,indemervieleseinerKompetenzenwiedererlangt.EsgibtauchLänder,indenenderAufbauoderderWiederaufbaudesStaatesweiterhineinSchlüsselelementfürihreEntwicklungist.DieinternationaleHilfesolltegeradeimRahmeneinessolidarischenPlanszurLösungdergegenwärtigenwirtschaftlichenProblemedieFestigungderVerfassungs-,Rechts-undVerwaltungssystemeindenLändern,diesichdieserGüternochnichtvollkommenerfreuen,eherfördern.NebenderwirtschaftlichenHilfebedarfesderUnterstützung,umdiedemRechtsstaateigenenGarantien,einwirksamesSystemderöffentlichenOrdnungunddesGefängniswesensunterEinhaltungderMenschenrechteundwirklichdemokratischeInstitutionenzustärken.DerStaatmußnichtüberalldieselbenAusprägungenhaben:DieUnterstützungzurStärkungderschwachenVerfassungssystemekannaufhervorragendeWeisevonderEntwicklungandererpolitischerAkteurenebendemStaatbegleitetwerden,diekultureller,sozialer,regionaleroderreligiöserArtsind.DieGliederungderpolitischenAutoritätauflokalerEbene,aufderEbenedernationalenundinternationalenZivilgesellschaftundaufderEbenederübernationalenundweltweitenGemeinschaftistaucheinerderHauptwege,umdiewirtschaftlicheGlobalisierunglenkenzukönnen.SieistauchdieVorgangsweise,umzuverhindern,daßdiesedefactodieFundamentederDemokratieuntergräbt.

    42.ManchmalsindgegenüberderGlobalisierungfatalistischeEinstellungenbemerkbar,alsobdieherrschendenDynamikenvonunpersönlichenanonymenKräftenundvonvommenschlichenWollenunabhängigenStrukturenhervorgebrachtwürden.[102]Diesbezüglichistesgut,inErinnerungzurufen,daßdieGlobalisierunggewißeinensozioökonomischenProzeßdarstellt,diesabernichtihreeinzigeDimensionist.HinterdemdeutlichersichtbarenProzeßstehteinezunehmenduntereinanderverflochteneMenschheit;diesesetztsichausPersonenundVölkernzusammen,denendieserProzeßzumNutzenundzurEntwicklunggereichensoll,[103]weilsowohldieEinzelnenalsauchdieGesamtheitdiejeweiligenVerantwortungenaufsichnehmen.DieÜberwindungderGrenzenistnichtnureinematerielleAngelegenheit,sondernhinsichtlichihrerGründeundAuswirkungenaucheinekulturelleFrage.WenndieGlobalisierungdeterministischinterpretiertwird,gehendieKriterienfürihreBewertungundihreAusrichtungverloren.SieisteinemenschlicheRealität,hinterderverschiedenekulturelleAusrichtungenstehenkönnen,diesorgfältigabgewogenwerdenmüssen.DieWahrheitdesGlobalisierungsprozessesundseingrundlegendesethischesKriteriumsindinderEinheitderMenschheitsfamilieundinihremVoranschreitenimGutengegeben.EsistdahereinunablässigerEinsatzzurFörderungeinerpersonalistischenundgemeinschaftlichensowiefürdieTranszendenzoffenenkulturellenAusrichtungdesglobalenIntegrationsprozesseserforderlich.

    TrotzeinigerihrerstrukturellbedingtenDimensionen,dienichtzuleugnensind,aberauchnichtverabsolutiertwerdendürfen,ist»dieGlobalisierungaprioriwedergutnochschlecht.Siewirddassein,wasdieMenschenausihrmachen«.[104]WirdürfennichtOpfersein,sondernmüssenGestalterwerden,indemwirmitVernunftvorgehenundunsvonderLiebeundvonderWahrheitleitenlassen.BlinderWiderstandwäreeinefalscheHaltung,einVorurteil,dasschließlichdazuführenwürde,einenProzeßzuverkennen,derauchvielepositiveSeitenhat,undsoGefahrzulaufen,einegroßeChancezuverpassen,andenvielfältigenEntwicklungsmöglichkeitenteilzuhaben,diedieserbietet.DieangemessengeplantenundausgeführtenGlobalisierungsprozessemachenaufweltweiterEbeneeinenochniedagewesenegroßeNeuverteilungdesReichtumsmöglich;wenndieseProzessejedochschlechtgeführtwerden,könnensiehingegenzueinerZunahmederArmutundderUngleichheitführensowiemiteinerKrisedieganzeWeltanstecken.Esistnötig,dieauchschwerenMängeldieserProzessezubeheben,dieneueSpaltungenzwischendenVölkernundinnerhalbderVölkerverursachen,unddafürzusorgen,daßdieUmverteilungdesReichtumsnichtmittelseinerUmverteilungderArmuterfolgtoderdiesesogarnochzunimmt,wieeseinschlechterUmgangmitdergegenwärtigenLagebefürchtenlassenkönnte.LangeZeitdachteman,daßdiearmenVölkerineinemimvorausfestgelegtenEntwicklungsstadiumverbleibenundsichmitderPhilanthropiederentwickeltenVölkerbegnügenmüßten.GegendieseMentalitäthatPapstPaulVI.inderEnzyklikaPopulorumprogressioStellungbezogen.HeutesinddiezurVerfügungstehendenmateriellenMöglichkeiten,umdiesenVölkernausderArmutherauszuhelfen,potentiellgrößeralsfrüher,abersiewurdenhauptsächlichvondenentwickeltenVölkernselbstinBeschlaggenommen,diesichdenProzeßderLiberalisierungdesFinanz-undArbeitskräfteverkehrsbesserzunutzemachenkonnten.DieweltweiteAusbreitungdesWohlstandsdarfdahernichtdurchegoistische,protektionistischeundvonEinzelinteressengeleiteteProjektegebremstwerden.DieEinbeziehungderSchwellen-undEntwicklungsländerermöglichtheuteeinenbesserenUmgangmitderKrise.DiezumGlobalisierungsprozeßgehörendeVeränderungbringtgroßeSchwierigkeitenundGefahrenmitsich,dienurdannüberwundenwerdenkönnen,wennmansichderanthropologischenundethischenSeelebewußtwird,dieausderTiefedieGlobalisierungselbstinRichtungeinersolidarischenHumanisierungführt.LeideristdieseSeeleoftverschüttetundwirdvonindividualistischundutilitaristischgeprägtenethisch-kulturellenSichtweisenunterdrückt.DieGlobalisierungisteinvielschichtigesundpolyvalentesPhänomen,dasinderVerschiedenheitundinderEinheitallseinerDimensionen–einschließlichdertheologischen–erfaßtwerdenmuß.Dieswirdeserlauben,dieGlobalisierungderMenschheitimSinnevonBeziehung,GemeinschaftundTeilhabezulebenundauszurichten.